Für Patient:innen mit Blutkrebs sind dank innovativer Therapien die Chancen auf ein langes Überleben bei guter Lebensqualität in den letzten Jahren deutlich gestiegen. In vielen Fällen konnten Erkrankungen, die noch vor zwei Jahrzehnten binnen kurzer Zeit tödlich verlaufen sind, in chronische Krankheiten umgewandelt werden. Anlässlich des internationalen Awareness-Monats Blutkrebs im September diskutierten namhafte Expert:innen über die neuesten Therapiefortschritte.
Deutliche Verbesserungen wurden insbesondere bei Chronischer Myeloischer Leukämie (CML), aber auch anderen myeloproliferative Neoplasien (MPNs) realisiert. Das Multiple Myelom (MM) hat v.a. dank der Behandlungsstrategie „Beste Therapien zuerst“ viel von seinem Schrecken verloren. „Das Spektrum neuer Behandlungsansätze beinhaltet effektive Optionen für nahezu jedes Krankheitsstadium“, betont Univ.-Prof.in Dr.in Gabriela Kornek, Ärztliche Direktorin des AKH Wien, Präsidentin des Vereins „Leben mit Krebs“.
Komplexe Wirkmechanismen revolutionieren die Behandlung, erfordern allerdings auch mehr Zeit für Patientenaufklärung, Therapiemanagement und Dokumentation. Der Verein „Leben mit Krebs“ übernimmt eine wichtige Rolle in der Wissensvermittlung für Betroffene, Angehörige und medizinische Berufsgruppen. Am 27. September steht ein Vortragsabend zum Thema Blutkrebs auf dem Programm (siehe Info-Box).
Multiples Myelom
Das Multiple Myelom (Plasmozytom) ist eine heterogene chronische Erkrankung, bei der sich Plasmazellen im Knochenmark ausbreiten. Dabei werden unbrauchbare Antikörper in hohem Ausmaß produziert und gesunde Zellen des blutbildenden Systems verdrängt.
Bei eher gutartigen Formen sind langanhaltende Remissionen erzielbar. Rezidive sind gut behandelbar. „Am anderen Ende des Spektrums gibt es Formen mit aggressiverem Verlauf, die schwieriger zu therapieren sind“, erklärt Priv.-Doz. Dr. Niklas Zojer, Klinik Ottakring, Leitender Oberarzt der hämatologisch-onkologische Ambulanz.
Ziel ist es, bei Patient:innen bereits in der ersten Therapielinie eine möglichst komplette, langanhaltende Remission zu erreichen. Die Tendenz geht dahin, die besten Therapien bzw. Therapiekombinationen zuerst einzusetzen, um eine möglichst vollständige Eradikation der klonalen Myelomzellen zu erreichen. Der Anteil an funktionell komplett geheilten Patient:innen, die über zehn Jahre und länger kein Rezidiv bekommen, hat mit den neuen Therapiekombinationen zugenommen. Das durchschnittliche Überleben liegt bei fast zehn Jahren – in den 1980er- und 1990er-Jahren waren es nur zwei Jahre geheilten Patient:innen, die über zehn Jahre und länger kein Rezidiv bekommen, hat mit den neuen Therapiekombinationen zugenommen. Das durchschnittliche Überleben liegt bei fast zehn Jahren – in den 1980er- und 1990er-Jahren waren es nur zwei Jahre.
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In der Erstlinie gilt eine Triple-Therapie aus Proteasom-Inhibitor, IMID und Dexamethason als Standard. Bei transplantgeeigneten Patient:innen bringt die Ergänzung eines anti-CD-38-Antikörpers im Rahmen einer Quadruplet-Therapie klare Vorteile hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens (PFS) und Gesamtüberlebens (OS) bei ausgezeichneter Verträglichkeit. Bei nicht transplantgeeigneten Patient:innen wird vielfach eine Triple-Therapie mit anti-CD38 Antikörper + IMID + Dexamethason eingesetzt.
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Bei Rezidiv-Patient:innen stehen neben immunmodulierenden Substanzen und Proteasomeninhibitoren u.a. Antikörper gegen CD38 und SLAMF7 sowie andere innovative Therapieansätze zur Verfügung. Einen Meilenstein in der Behandlung der fortgeschrittenen Myelom-Erkrankung stellt die Immuntherapie in Form von bispezifischen Antikörpern und der sogenannten CAR-T-Zell-Therapie (T-Zellen, die dem Körper entnommen und gentechnisch gegen CLL-Zellen gerichtet werden) dar.
Chronisch lymphatische Leukämie (CLL)
Neben Chemo- und Antikörpertherapien, die meist intravenös verabreicht werden, stehen mittlerweile Medikamente in Tablettenform zur Verfügung. „Diese moderne zielgerichtete Therapie blockiert bestimmte Proteine, die für das Wachstum und Überleben der Krebszellen zuständig sind“, erläutert Priv.-Doz. Dr. Daniel Heintel, Klinik Ottakring, 1. Medizinische Abteilung, Zentrum für Onkologie und Hämatologie.
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Immunochemotherapie: Das FCR-Schema – eine Kombination der Zytostatika Fludarabin und Cyclophosphamid mit dem CD20-Antikörper Rituximab – etablierte sich als Standard für körperlich fitte junge Patient:innen mit guter Nierenfunktion und wenig Komorbidität.
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Zielgerichtete Therapien: Aufgrund überzeugender Studiendaten kommen zunehmend zielgerichtete Substanzen (Inhibitoren) bereits als Erstlinientherapie zum Einsatz. Im Vordergrund stehen BTK (Bruton-Tyrosinkinase)-Inhibitoren und BCL2-Inhibitoren, aber auch ein neuer CD20-Antikörper. Aktuelle Studien untersuchen, welche Erstlinientherapie für welche Patient:innen am besten geeignet sind.
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In Einzelfällen kann bei stark vorbehandelten und refraktären CLL-Patient:innen auch eine Therapie mit CAR-T-Zellen erwogen werden.
Myeloproliferative Erkrankungen inklusive CML
Bei den myeloproliferativen Neoplasien (MPNs) handelt es sich um eine Gruppe von seltenen bösartigen Blutkrebserkrankungen. Dazu zählen die chronische myeloische Leukämie (CML), die Polycythämia vera (PV), die essentielle Thrombozythämie (ET) sowie die primäre Myelofibrose (PMF).
„Bei der CML kommt es zu einer unkontrollierten Vermehrung weißer Blutkörperchen“, so Prim. Dr. Thamer Sliwa, Leiter der Abt. für Innere Medizin und Hämato-Onkologie im Krankenhaus Leoben. Aufgrund der enormen Therapiefortschritte gleicht die Lebenserwartung der meisten Betroffenen mittlerweile jener der Normalbevölkerung.
Die CML war das erste Modell einer zielgerichteten Therapie in der Hämatologie. Nach der Entdeckung der kausalen Ursache – das durch Punktmutation entstehende Fusionsgen BCR-ABL – wurde 2001 der Erstgenerations-Tyrosinkinaseinhitor (TKI) Imatinib zugelassen. Aus einer binnen 2-5 Jahren tödlich verlaufenden Erkrankung wurde eine chronische Erkrankung. Bei einigen Patient:innen kann die TKI-Therapie nach Erreichen einer tieferen Remission sogar gestoppt werden.
Mittlerweile gibt es Zweit- und Drittgenerations-TKI. Weiters steht mit den STAMP (Specifically Targeting the ABL1 Myristoyl Pocket)-Hemmern eine neue Wirkstoffgruppe mit etwas anderem Wirkmechanismus zur Verfügung.
Ein kleiner Teil der Patient:innen (<2 %) hat ein fortgeschrittenes CML-Stadium (Blastenkrise) bei der Diagnosestellung. Diese benötigen neben der TKI-Therapie eine allogene Stammzelltherapie (ASCT).
Weitere myeloproliferative Neoplasien
Daneben existiert eine Gruppe von sehr seltenen Erkrankungen, die sogenannten BCR-ABL1-negativen myeloproliferativen Neoplasien (MPNs). Die wichtigsten drei „Geschwisterkrankheiten“ sind Polyzythämia vera (PV), essentielle Thrombozythämie (ET) und primäre Myelofibrose (PMF). Als – meist im Laufe des Lebens entstehende – Ursachen zeichnen genetische Veränderungen, v.a. sogenannte Treibermutationen (JAK2, Calreticulin und MPL), verantwortlich.
Die Hauptveränderung bei der PV ist das unkontrollierte Wachstum der Erythrozyten. Daneben kann eine abnorme Vermehrung der Blutplättchen (Thrombozytose) und der Leukozyten (Leukozytose) auftreten.
Bei ET kommt es zu einer ungebremsten Überproduktion von Blutplättchen (Thrombozytose). Hauptgrund für die verkürzte Lebenserwartung bei PV und ET sind Thromboembolien.
Zwei Drittel der Myelofibrosen sind primärer Natur, ein Drittel entsteht sekundär aus einer anderen myeloischen Erkrankung. Es handelt sich um eine heterogene, deutlich schwerwiegendere Erkrankung als PV oder ET mit signifikant kürzerer Überlebenszeit. Aufgrund zunehmender Fibrosierung des Knochenmarks verlagert sich die Blutbildung in die Milz mit massiver Milzvergrößerung und später auch in die Leber. Mit fortschreitender Erkrankung entstehen Anämie und Thrombopenie.
Die wichtigsten Therapieziele der drei MPNs sind die Verhinderung von Thromboembolien (Antikoagulation und Zytoreduktion), die Verbesserung der Symptome und der Lebensqualität sowie die Verhinderung der Progression in eine akute myeloische Leukämie (AML). Als Basis für die Therapiewahl wird eine individuelle Risikosteratifizierung herangezogen. Die durchschnittliche Überlebenszeit liegt zwischen 2,5 und 10 Jahren.
Infobox
Awareness-Monat Blutkrebs: Vortragsabend am 27. September
Der Monat September steht ganz im Zeichen von Blutkrebs. Der „Verein Leben mit Krebs“ veranstaltet einen Vortragsabend für Betroffene und Interessierte. Dabei werden namhafte Expert:innen neueste Erkenntnisse präsentieren und im Anschluss für Fragen zur Verfügung stehen.
Die Informationsveranstaltung findet am Mittwoch, 27. September 2023, von 17 bis 19 Uhr im Apothekertrakt des Schlosses Schönbrunn statt. Der Eintritt ist frei. Für all jene, die nicht vor Ort teilnehmen können, wird es einen Livestream geben.
Pressebilder zur honorarfreien Verwendung:
Bildinfo: v.l.n.r.: Priv.-Doz. Dr. Niklas Zojer, Univ.-Prof.in Dr.in Gabriela Kornek, Prim. Dr. Thamer Sliwa und Priv.-Doz. Dr. Daniel Heintel
Copyright: Thomas Laimgruber
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